„Der Oleg hat richtig Feuer im Hintern“
Auf dem Weg nach Tokio: Der Landauer Stabhochsprung-Papst Jochen Wetter hält große Stücke auf 5,80-m-Springer Oleg Zernikel. Auch, weil sich der 26-Jährige mit Energie und großer Willenskraft aus einem Tief heraus auf Höhenflug begab, der ihn bis nach Tokio trägt. Die Olympiapremiere bezeichnet Zernikel als Lebensziel. Und hängt ein nächstes gleich an.
Landau. Jochen Wetter (80) denkt halt vorausschauend. Schon als sein Schützling beim Gewinn des deutschen Meistertitels vor fast drei Wochen in Braunschweig 5,80 Meter sprang, bestellte Oleg Zernikels Mentor, Heimtrainer und Manager umgehend zwei neue, härtere Karbonstäbe, das Stück für knapp 1200 Euro. Sie kommen nächste Woche. Das ist gut so, denn sein bestes Stück hat Zernikel vergangenen Samstag in Zweibrücken beim Versuch, über 5,90 Meter zu springen, ramponiert. So sehr mit den Spikes zerkratzt, dass es einen Riss aufweist, und selbst der erfahrene Trainingspartner Raphael Holzdeppe sagte, er würde mit diesem Stab nicht mehr springen. Auch da hat Wetter schon wieder nachbestellt, mithilfe von vielen Unterstützern wie Verein (ASV Landau), Förderverein („Hoch hinaus“), Landesverband, DLV, Landessportbund. Und in der Hoffnung, dass der Stab bis zum Qualifikationsspringen am 31. Juli in Tokio da ist.
Der Springer und sein Stab – ein für Außenstehende unvorstellbares Abhängigkeitsverhältnis. Je härter das 4,90 Meter lange Gerät ist, desto höher wird der Athlet Richtung Latte katapultiert. Aber er muss halt richtig schnell in den Stab reinlaufen, ihn zum Biegen bringen, er muss Vertrauen in den Stab haben und er muss während des Wettkampfes bereit sein, den Stab zum nächst härteren zu wechseln.
„Oleg hat richtig Feuer im Hintern“, schwärmt Wetter, der den Burschen seit zwölf Jahren kennt und auch an ihn geduldig glaubte, als der als Jugendlicher erfolgreiche 5,50-m-Springer in die Krise gerutscht war. Der in Almaty/Kasachstan geborene Landauer Zernikel (26), der in Godramstein lebt, sagt inzwischen über sich selbst: „Ich bin mit mir im Reinen, bin klar im Kopf. Ich habe keine Ängste mehr bei den Versuchen.“ Welch ein Wandel!
Vierter bei der U18-WM 2011 war er und Dritter bei der U20-WM 2015 – und blieb dann er in der Entwicklung stehen, hatte keine Motivation mehr, wollte aufhören. Es gab Zeiten, da konnte er in der Ludwigshafener Halle nicht mehr springen, weil er Angst hatte. Plötzlich fing er an, von Olympia zu träumen, just in dem Moment, als er mit dem Sport aufhören wollte, vor ungefähr fünf Jahren. Was für ein Widerspruch. Zernikel begann für sich selbst mit mentalem Training, stellte sich intensiv die Frage, was willst du erreichen? Und begann mit der täglichen mentalen und körperlichen Arbeit. „Ich habe die letzten drei Jahren ziemlich viel geopfert, jeden Tag, das war ziemlich anstrengend“, sagt er. Um Geld zu verdienen, ging er beim Baumarkt jobben, er studiert an der Uni Landau Umweltwissenschaften – und er erweiterte seinen technischen Horizont durch Fahrten nach Zweibrücken, um dort mit Raphael Holzdeppe, Karsten Dilla und Daniel Clemens unter Bundestrainer Andrei Tivontchik zu trainieren. Der Durchbruch.
5,70 Meter im Winter, Vierter der Hallen-EM in Torun, vor allem aber das Gefühl, sich bei 5,70 Meter wohlzufühlen. Er sagt sich einfach „Ich springe da jetzt drüber“ und das klappt ja fast immer auch. „Wenn du über die Latte fliegst und merkst, du hast was geleistet“, das sei ein Wahnsinnsmoment: „Ich muss mir überlegen, was ich danach mache, Fallschirmspringen oder so. Das Fliegen wird zu einer Sucht, aus diesem Suchtgefühl heraus mache ich das alles.“
Am Sonntag wird er in Leverkusen starten, und Dennis Schober hat mit dem ASV Landau für den 10. Juli ein kleines, feines Springerfeld im Stadion zusammengestellt, damit Oleg Zernikel im Wettkampfmodus bleibt, ehe er am 20. Juli nach Tokio fliegt. „Mein Leben hat sich gelohnt, ich habe mein Lebensziel erreicht“, sagte er frech nach dem Sieg in Braunschweig, wohl wissend, das da schon noch anderes kommt im Leben. Das Augenmerk aber liegt momentan auf der Olympiapremiere. „Mein Ziel ist, das Finale zu erreichen“, sagt er, rechnet damit, dass er dafür 5,80 Meter springen muss und ergänzt: „Wenn ich 5,80 springen kann, kann ich auch an 5,90 denken.“ Ein freier Kopf hilft beim Denken – und beim Springen.
Zugehörige Wettkämpfe
Datum | Name | Ort |
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23.07.–08.08.2021 | Olympische Sommerspiele 2020 | Tokio (Japan) |
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