Die vier Sprünge beim 22. Stabhochsprung-Meeting am 19. Juli im südpfälzischen Jockgrim waren die letzten von Kristina Gadschiew. Die Sportlerin des LAZ Zweibrücken beendete nach 20 Jahren ihre sportliche Karriere, auch weil sie nach einer Verletzung nicht mehr zu alter Leistungsstärke zurückfand. Über den Abschied vom Leistungssport und was danach jetzt alles kommt, sprach die 32-Jährige mit der RHEINPFALZ.

Frau Gadschiew, Sie haben im Sommer Schluss gemacht mit dem Stabhochspringen. Haben Sie inzwischen den Schrank mit den Sportsachen schon ausgemistet?

Viele Sportsachen brauche ich ja noch zum Trainieren und im Sportunterricht. So lange ich noch die Maße habe, ziehe ich die auch an (lacht). Meine Wettkampf-Outfits sind im Koffer auf dem Dachboden, die könnte ich nicht einfach so verschenken. Die habe ich mir ja verdient und erarbeitet. Bei normalen Sportklamotten wär’s mir egal, aber von Klamotten kann ich mich sowieso nur ganz schlecht trennen.

Wir haben in unserem Archiv noch ein Foto aus dem Jahr 1997, Ihren Anfängen, ausgegraben. Da waren sie 13, 14 Jahre, sicher eins der ersten Fotos überhaupt im LAZ-Trikot?

An die blaue Kombination aus Trikot und Hose kann ich mich noch gut erinnern. Aber mein Gott, da habe ich orangefarbene Socken mit roten Schuhen kombiniert. Das ginge heute gar nicht mehr (lacht wieder und schüttelt missbilligend den Kopf).

Bei Regierungen und Präsidenten zieht man nach den ersten 100 Tagen Bilanz. Ihre Karriere-Ende ist jetzt ein bisschen länger her, etwa fünf Monate. Wie geht es Ihnen heute mit der Entscheidung?

Es ist saumerkwürdig (lacht) und fühlt sich richtig komisch an. Aber das Umstellen ist mir leichter gefallen, weil ich gleich nach den Ferien im August eine Vertretungsstelle am Zweibrücker Hofenfels-Gymnasium bekommen habe. So hatte ich ja nur einen Monat zwischen meinem letzten Wettkampf und dem Alltag, den ich jetzt regelmäßig bewältigen muss. Da liegen richtige Welten zwischen dem Leistungssport und der Arbeitswelt. Aber ich bin mir komplett sicher, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe.

Wie sieht der Schulalltag aus?

Ich habe einen Einjahresvertrag am Hofenfels über zwölf Stunden wöchentlich, vier Stunden Chemie in den Klassen 8 und 10 und acht Stunden Sport in den Klassen 5, 6 und 9. Die Kollegen integrieren mich prima. In Chemie hilft mir vor allem Frau Löckelt, das ist klasse.

Sie haben das Erste Staatsexamen hinter sich, warten derzeit auf eine Referendariatsstelle. Wie geht’s weiter?

Ich habe mich für das nächste Referendariat beworben. Da geht es um Kaiserslautern, Landau und Bad Kreuznach. Das beginnt am 14. Januar, und bis jetzt kam noch keine Absage. ’Ne große Vorlaufzeit habe ich jedenfalls nicht, wenn es klappt.

Hatten Sie nach dem letzten Springen in Jockgrim noch mal Ihr Sportgerät, den Stab, in der Hand?

Zwei Monate lang bin ich aus Jux und Dollerei aus kurzem Anlauf noch ein bisschen gesprungen. Einfach, weil ich’s ja kann. Ich wusste ja vorher nicht genau, wann Schluss ist, es ist eine riesengroße Entscheidung, die Sportwelt kommt in der Form eben nie wieder im Leben. Aber ohne richtige Ziele macht es nicht so viel Spaß.

Müssen Sie nach der Leistungssportkarriere richtig abtrainieren?

Die Ärzte haben schon dazu geraten, ein bisschen vergrößertes Herz habe ich ja schon. Ich mache ganz normales Fitnesstraining, viermal pro Woche eine bis eineinhalb Stunden. Auch, weil ich ein bisschen Angst davor habe, jetzt aufzugehen wie ein Hefekuchen. Aber es wird immer weniger. Beim Krafttraining mache ich nur noch Ausdauerserien mit wenig Gewicht. Die Muskulatur geht auf jeden Fall zurück. Die Trainingspläne schreibt mir aber immer noch Andrei (Tivontchik, Stabhochsprung-Bundestrainer der Frauen, Anmerkung der Redaktion).

Also, der Sport an sich bleibt schon Teil Ihres Lebens, oder?

Ich nutze das aus, so lange ich noch genug Zeit dazu habe. Ich bin gespannt, wie das dann im Referendariat noch klappt. Aber nach der Schule brauche ich das Laufen zum Beispiel, um abzuschalten. Das schaffe ich nur beim Sport; nicht, wenn ich am Schreibtisch sitze.

Sie hatten sich 2014 die Achillessehne im linken Bein gerissen. Wie geht’s Ihnen heute?

Ich merke da gar nichts mehr, bin überhaupt nicht eingeschränkt. Ich muss ja auch im Sportunterricht ziemlich viel vormachen. Ich fühle mich wohl.

Viele Lehramtsstudenten bekommen im Referendariat so was wie einen Praxisschock. Haben Sie zwischenzeitlich an Ihrer Berufswahl gezweifelt?

Noch gar nicht. Ich arbeite ja sehr gern mit Kindern und will ihnen vor allem beim Sport was fürs Leben mitgeben. Bezüglich ihrer Körperhaltung und welche Auswirkungen es haben kann, wenn sie keinen Sport machen. Ich bin aber selbst gespannt, ob ich die nötige Kritikfähigkeit habe, um das Referendariat durchzustehen.

Wie klappt die Umstellung vom Leistungssport auf das Unterrichten?

Meine Anforderungen sind oft zu hoch. Wenn ich dran denke, dass ich in der fünften Klasse erst mal eine methodische Übungsreihe machen muss, um die Rolle vorwärts einzuführen (lacht) ... Die Belastungsgrenze setze ich immer noch zu hoch an, obwohl ich sie vorher schon runterschraube. Was ich vorbereitet habe, kann ich häufig so gar nicht machen. Den Kindern heute fehlt manchmal das Streben nach etwas, finde ich. Wenn ich früher was im Sport gesehen habe, war klar: Das will ich auch können. Die Kids heute sagen oft „Das kann ich nicht“, nur weil es hinterher nicht gleich ein Sachgeschenk für das Erreichte gibt. In Chemie ist das deutlich leichter als im Sport.

Haben Sie nach dem Ende des Leistungssports mehr Zeit als vorher?

Hab’ ich nicht, ich bin genauso durchgetaktet wie vorher. Die Stundenvorbereitung für die Schulstunden dauert schon mal drei bis fünf Schulen. Auch weil ich eben immer einen Plan B und C brauche (lacht). Am Wochenende ist es aber schon merkwürdig, mehr Zeit für Freunde und die Familie zu haben. Es macht jetzt nichts mehr, wenn’s beim Frühstück mal ein bisschen länger dauert. Aber eine gewisse Organisation habe ich schon, das ist vom Sport geblieben. Wenn ich mir vornehme, um 17 Uhr einkaufen zu gehen, dann mach’ ich das auch so.

Wie sieht es nach der Sportkarriere mit dem Essen aus? All you can eat?

Theoretisch kann ich jetzt alles essen, was ich will. Ich erlaube mir auch ein bisschen mehr als vorher. Aber du kontrollierst dich selbst, auch das ist geblieben. Ich überlege mir genau, was ich esse, weil ich als Sportler weiß, wie sich was auswirkt. Wir kochen zu Hause schon, aber ich hatte früher nie die Zeit, mich intensiver damit zu beschäftigen. Erst gegen Ende meiner Sportkarriere habe ich gemerkt, was Ernährung ausmachen kann und wie man Müdigkeit und Stimmung übers Essen steuern kann.

Gibt’s Dinge, die Sie jetzt gerne machen würden statt Leistungssport?

Andere Sportarten als Leichtathletik haben mich bis jetzt nicht interessiert, ich hatte für mich wohl die richtige Sportart ausgesucht. Beachvolleyball würde mich interessieren, und den Skischein würde ich gerne machen, um mit Schulklassen wegfahren zu können. Und Nähen würde ich gerne lernen, denn bis jetzt kann ich noch nicht mal einen Knopf annähen (lacht). Das muss mein Mann machen. Er ist ein richtiges Multitalent, der hat das bei seiner Mutter gelernt. Ich nehme mir aber grundsätzlich nur Dinge vor, die ich auch zeitnah machen kann.

Wie bleiben Sie über die Arbeit als Lehrerin hinaus dem Sport verbunden?

Während des Referendariats kann ich im Verein noch nichts machen, das ist zeitlich nicht drin. Jugendtrainer oder auch Funktionär – hinterher könnte ich mir beides vorstellen. Da werde ich sicher dann mit Alex (Vieweg, Zweiter LAZ-Vorsitzender, Anm. der Red.) drüber reden. Wobei ich als Funktionär erst mal das Handwerkszeug lernen und jemandem assistieren müsste. Das könnte ich nicht von jetzt auf gleich.

2015 hat sich eine Disziplinkollegin, Kira Grünberg aus Österreich, beim Sport schwer verletzt, sie ist seitdem querschnittsgelähmt. Sie waren damals gerade in der Rehabilitation nach ihrer Verletzung. Dachten Sie zu dem Zeitpunkt ans Aufhören?

Das hat mich schon sehr mitgenommen. Bis ich 28 war, habe ich über so etwas gar nicht nachgedacht. Aber danach hat sich der Kopf eingeschaltet, und ich habe am Anfang beim Springen wirklich Angst gehabt. Und in den vergangenen beiden Jahren haben sich viele meiner Vereinskollegen verletzt. Nicht so schlimm wie Kira, aber da war ich halt noch näher dran. Das kann ich nicht ausschalten, werde noch unsicherer. Und dann kannst du dein Potenzial nicht mehr abrufen.

Aus dem Kader und den finanziellen Förderungen sind Sie jetzt raus?

Schon 2015 habe ich eigentlich ein Minus hingelegt. Ohne meinen Mann wäre es nicht gegangen, die Karriere fortzusetzen. Ab 2014 hab’ ich schon kein Geld von der Sporthilfe Rheinland-Pfalz mehr bekommen, nur die Deutsche Sporthilfe lief bis zuletzt. Denen muss ich mal noch ein Dankeschön schreiben.

Bis zuletzt liefen aber wohl auch die Doping-Kontrollen?

Ja, im November kam noch mal ein Kontrolleur vorbei, um 6 Uhr morgens. Trotz meiner mündlichen Erklärung im Juli, dass ich aufgehört habe. Mein Mann hat gefragt: Warum geht du da überhaupt noch runter? Aber nach dem Karriereende hatte ich vergessen, mich weiter in den Aufenthaltsplan einzutragen, und hatte so schon einen „missed test“. Und ich hatte keine Lust auf noch einen. Sonst hätte es am Ende noch geheißen, die hat aufgehört, weil sie gedopt war. Das wollte ich auf keinen Fall. Seit Dezember bin ich da endgültig raus.

Das Thema Doping ist nach dem neuesten McLaren-Report wieder ein TopThema in den Medien. Wie sehen Sie die Enthüllungen?

Je älter man wird, desto mehr belastet einen das Thema. Mit 25 ist einem das egal, da macht man sich keine Gedanken darüber. Aber warum schwingt das bei allen guten Leistungen immer mit? Dopen ist moralisch ein Unding, die russischen Athleten sollten bestraft werden. Aber ich verstehe nicht, dass man sich jetzt gerade nur auf Russland stürzt. Es gibt auch Amerikaner und Briten, die schon zweimal wegen Dopings gesperrt waren. Als die neuesten Enthüllungen gelesen hab’, dachte ich: Du hast genau zum richtigen Zeitpunkt aufgehört.

Haben Sie zu Hause ein Foto vom letzten Springen in Jockgrim aufgehängt?

Ich hatte selbst gar keine gemacht oder organisiert. Aber ich habe ja zum Glück richtig coole Fans. Die haben mir eine CD und DVD mit Fotos und Filmen geschickt. Nur: Ich hab’ mich noch nicht getraut reinzuschauen. Das dauert noch ein bisschen, es ist immer noch zu nah. Es war aber voll schön, und Jockgrim war genau der richtige Ort für den Abschied.

Frau Gadschiew, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Zur Person: Kristina Gadschiew

  • geboren am 3. Juli 1984 in Wastljewska (Kirgisistan)
  • angehende Gymnasiallehrerin, Fächer: Sport und Chemie
  • Wohnort: Hornbach
  • Verein: LAZ Zweibrücken
  • Disziplin: Stabhochsprung
  • Trainer: Andrei Tivontchik
  • Bestleistung: 4,61 Meter (4,66 Meter in der Halle)
  • größte Erfolge: Deutsche Hallenmeisterin 2013, Bronze bei der Hallen-EM 2011, Zehnte der Weltmeisterschaft in Daegu 2011 und 2009 in Berlin, Siebte der Hallen-WM in Doha 2010, Fünfte der Hallen-EM 2009, DM-Silber 2009, DM-Bronze 2011.

Eine Karriere in Bildern

Der letzte Sprung in Jockgrim
Der letzte Sprung in Jockgrim
Fliegen für Deutschland
Fliegen für Deutschland
Selbst ist die Frau beim Stabtransport
Selbst ist die Frau beim Stabtransport
Immer gut drauf, auch beim ersten großen RHEINPFALZ-Interview 2005
Immer gut drauf, auch beim ersten großen RHEINPFALZ-Interview 2005
wichtige Medaillen mit Bronze bei der Hallen-EM 2011 in Paris
wichtige Medaillen mit Bronze bei der Hallen-EM 2011 in Paris
wichtige Medaillen mit Deutsche Hallenmeisterin 2013 in Dortmund
wichtige Medaillen mit Deutsche Hallenmeisterin 2013 in Dortmund
Trainingsarbeit mit Bundestrainer Andrei Tivontchik
Trainingsarbeit mit Bundestrainer Andrei Tivontchik
Laborarbeit der angehenden Chemie-Lehrerin
Laborarbeit der angehenden Chemie-Lehrerin
Der emotionale Abschied in der sommerlichen Südpfalz
Der emotionale Abschied in der sommerlichen Südpfalz

Fotos: Kunz (3), Iversen (2), Hensel (2), Steinmetz (1), Kircher (1)

Zugehörige Wettkämpfe

Datum Name Ort
18.–19.07.2016 Stabhochsprung-Meeting Jockgrim 2016 Jockgrim (Deutschland)