Hobbybäcker mit eigenem Rezept nach Tokio
Olympia-Tagebuch: Für drei Wochen zum mobilen Arbeiten nach Japan – Top organisierte Einreise
36,82 Grad Celsius, oral gemessen, war meine durchschnittliche Körpertemperatur in den vergangenen 14 Tagen. Für die japanische Gesundheitsbehörde – und für mich – eine wesentliche Information, um im Land der aufgehenden Sonne nicht unterzugehen. Ich wusste aber auch ohne Fieberthermometer, dass ich gesund bin – und bin gelandet. In Tokio-Haneda, nach 9769 Flugkilometern im Himmel über Helsinki und Wladiwostok. Für die kommenden 19 Tage nehme ich, der Homeoffice-Verächter (Dehääm is dehääm, schaffe is schaffe), das Phänomen „mobiles Arbeiten“ wörtlich. So Gott will.
Olympische Spiele zu Zeiten einer Pandemie ungeahnten Ausmaßes – das ist eine verdammte Herausforderung. Als mich am 30. November 2017 in Dietrichs Bierakademie (beim „Gagges“) gegenüber des RHEINPFALZ-Mutterhauses in Ludwigshafen mein damaliger Chef Horst Konzok fragte „Kulle, willscht nochemol?“, ahnte kein Mensch, zu welcher Gratwanderung diese Spiele werden. Es wusste keiner, ob sie überhaupt stattfinden (sollen), seither betet jeder die Klaviatur von Sinn- bis Sorgemachen herunter.
Ich entschied mich für Argumente und gegen Gefühle und zappelte zuletzt nervös herum wie einst vor Klassenarbeiten. Ich will sehen, hören, riechen, erleben, um selbst mehr oder weniger gut einordnen zu können, was in Japan, in diesem ganz besonderen, nach europäischen Verhältnissen ganz anderen Land, passieren wird. Was schwer werden wird. Ich wollte etwas Begonnenes fortführen, „meine“ Athletinnen und Athleten, die ich seit Jahren begleite, wie eine Christin Hussong, einen Timo Bichler oder einen Oleg Zernikel, vor Ort um Medaillen kämpfen sehen. Auch ohne Zuschauer, sei’s drum.
Als Hobbybäcker habe ich für diesen Backofen Japan, es sind gerade 37 Grad und mehr, meine eigene Rezeptur zusammengestellt. Zu gleichen Teilen Gelassenheit und Fleiß, aber auch Demut und Skepsis, als Hefeersatz eine Messerspitze Heiterkeit, ein Schuss Mut, eine Prise Gottesglaube. Es wird schon gutgehen.
Ich glaube schon bei der Ankunft im Hotel sagen zu können: Nichts wird so heiß gegessen wie es gekocht wird. Den Schlechtmachnachrichten, der Skepsis vieler zum Trotz steht meine Position felsenfest: „Olympia, nein danke“ – das gibt es nicht für mich.
Nach zwei PCR-Tests in Schwetzingen, auf einem japanischen Zertifikat belegt, und einem Spucktest in Haneda, nach makelloser organisatorischer Abwicklung aller Einreiseformalitäten, die mit Man- und Womanpower und totaler Zuneigung einherging, nach meiner ersten kostenlosen Taxifahrt, weil ich die nächsten zwei Wochen keinen öffentlichen Nahverkehr benutzen kann, sitze ich, um dies alles zu schreiben, in einer schwülen Hotelkammer. In der passierte bestimmt seit einem Jahr nichts mehr. Und ich durfte dokumentierte 15 Minuten zum Family-Mart, um das Wichtigste einzukaufen. Dosenbier und so.
Nach 21 Stunden Maske tragen von eigener Haustür zu Hoteltür falle ich todmüde, die Nervosität unterwegs irgendwo verloren, in die Kiste, lege mich unter meine eigene Atemmaske, um morgen aufwachen und sagen zu können: Los geht’s, Tokio. Endlich.
Zugehörige Wettkämpfe
Datum | Name | Ort |
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23.07.–08.08.2021 | Olympische Sommerspiele 2020 | Tokio (Japan) |
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