Der Yumenoshima Park liegt auf der gleichnamigen Insel in der Bucht von Tokio. Er ist das ganze Jahr über geöffnet, auch jetzt. Lediglich der Zutritt zum botanischen Tropengarten kostet Eintritt. Von weitem ist der gigantische Yachthafen zu sehen, Zuschauertribünen ragen in die Höhe. Stabile Gerüste aus Stahl und Aluminium, temporär aufgebaut wie die am Wormser Dom für die Nibelungenfestspiele. Sie umrahmen das große Feld der olympischen Bogenschießwettbewerbe.

In den Yumenoshima Park kommen gerade aber keine Zuschauer. Viele, viele Schüler haben versucht, kleine Stellvertreter zu züchten und sie zu den Sportlerinnen „sprechen“ zu lassen. Eine ganz süße Idee, sehr feinfühlig und gastfreundlich, wie mir Miyo Ito und Masaharu Takeda erzählen, die als Volunteers das Team aus Bhutan betreuen.

In Reih und Glied stehen auf dem Vorfeld des Finalstadions, wo gestern die Qualifikation der Frauen ausgeschossen wurde, unübersehbar Blumenpflanzen, etwa 40 Zentimeter hoch, mit mir allzu sehr bekannten Blüten. Daran hängen handgemalte Schilder. Schüler der Matsugami-Schule, um die neun und zehn Jahre alt, wollten gerne kommen, durften bekanntlich nicht und schickten einfach Grüße: „Gebt euer bestes im Teamwork“ steht auf einem Zettel, dazu das Wort Olympia auf japanisch.

Weil es früh am Morgen ist, so halb zehn Uhr, lachen einen die Blüten noch an. „Morning glory“ heißen sie, Morgenruhm, erzählt mir Masaharu. Ich kenne sie als Petunien, die ich in jedem Lenz bei Aldi für unseren wunderschönen Garten kaufe, um sie dann von den Schnecken abfressen zu lassen. Schnecken habe ich am Freitag keine gesehen, aber sie kämen auch gar nicht an die Blüten hoch.

Es war für mich noch vor der Eröffnungsfeier der Probelauf im so genannten Booking System. Anders als früher, als man als Journalist eigentlich in jede Olympia-Veranstaltung reinkam, muss man sich nun anmelden. Hintergrund: Die Organisatoren wollen auch die Anzahl der Journalisten in den jeweiligen Mixed Zonen, also dort, wo man mit den Sportlerinnen und Sportlern reden kann, und in den kleinen Zelten mit Tischen, Stühlen, WLAN und Steckdosen (und idealerweise Wasserflaschen) reduzieren. Bis um 16 Uhr am Vortag darf man zehn Wünsche nennen, danach gleicht das Ganze einem Lotteriespiel. Es wird sich zeigen, ob das Spielchen aufgeht.

Fürs erste aber hatte ich Donnerstagmittag über das Smartphone meine Zusage erhalten, diejenigen, die keine bekamen und trotzdem zum Yumenoshima Park fuhren, wurden nicht reingelassen. Ob sie alternativ ins Tropenhaus gingen, weiß ich nicht. Mussten sie auch nicht, denn es war draußen tropisch heiß. Ja, die hohe Luftfeuchtigkeit schafft einen.

Reingekommen ist Christof Siemes. Er ist Autor und Redakteur bei der „Zeit“, wir waren schon 2000 in Sydney gemeinsam unterwegs. Er schrieb den Roman „Das Wunder von Bern“, hatte ein große Nähe zu Günter Grass, den ich ebenso verehrte. Ich lobte ihn für seine großartigen Beiträge, er freute sich, und ich erzählte ihm, wie nahe ich Wolfgang Koeppen stand. Plötzlich waren wir mittendrin in der Literatur, er meinte, man hätte Brigitte Kronauers „Berittenen Bogenschützen“ noch mal lesen müssen. Ich dachte, muss nicht sein, die Wahrheit liegt hier ja auf dem Platz. Siemes schrieb mit Jens Lehmann „Der Wahnsinn liegt auf dem Platz“. Stimmt eigentlich auch, es ist sauheiß hier – Wahnsinn.

Zugehörige Wettkämpfe

Datum Name Ort
23.07.–08.08.2021 Olympische Sommerspiele 2020 Tokio (Japan)