Im normalen Leben sage ich zu Gefühlen, die ich gerade durchleide: Bin fertig wie ein Stück Schwarzbrot. Blöder Vergleich, ich weiß nicht, woher der kommt. Was kann ein Schwarzbrot für meinen mentalen Hänger, für meine Kopfschmerzen? Um 3 Uhr war ich eingeschlafen – ohne Programm für den nächsten Tag. Nur Leichtathletik, morgens und abends, das war klar.

Zugegeben: Mit der Zeit fühle ich mich leer, ausgepowert. Aber dann geht’s doch wieder auf Achse, recht früh sogar. Noch fünf Tage, noch fünf Nächte. Schaffst du, denke ich. Die Goldene von Florian Wellbrock hatte ich quasi verpennt, die neue „Freiheit“ indes erlaubt schnelleres Bewegen durch die Stadt. Mit der Keihin-Tohoku-Linie von Kamata hoch in den Norden, Umstieg in Shinagawa, hinaus ins Olympiastadion zu den Vormittagsentscheidungen und dann, in der Mittagspause, der sehr schnelle Entschluss: fahr doch mal ins Olympische Dorf. Michael Schirp vom DOSB hatte eine WhatsApp geschrieben, Wellbrock und Frank Stäbler kämen vorbei. Zum Smalltalk, wenn man so will.

(Nur) zwei andere Kollegen hatten die gleiche Idee, die anderen waren irgendwo. Beim Tischtennis, beim Hockey, im Stadion geblieben. Jeder entscheidet, was er tun und lassen will. Ich jedenfalls durfte zwei ganz große Sportler erleben, ihre Gedanken, ihre Gefühle aufsaugen. Ganz in Ruhe. Den einen, Florian Wellbrock, der seit 3 Uhr auf den Beinen war, überragend zu Gold schwamm und der dann solch einen tiefen Einblick in sein Innenleben gab, weg von Zeiten, Siegen, Medaillen. So schnell wie möglich möchte er nach Hause, aber nicht, weil es ihm nicht gefallen hätte, im Gegenteil, viel viel besser als in Rio sei es gewesen. Er möchte zu seiner Familie, zu Freundin Sarah Köhler, die in der Nacht das Rennen am Fernsehen mit Florians Eltern in Bremen ansah. „Sarah war von der 48-Stunden-Abreiseregelung natürlich auch betroffen. Ob wir verlobt sind, spielt da keine Rolle. Ich habe aber gleich per Facetime mit ihr telefoniert“, sagte Wellbrock.

Der andere, Frank Stäbler, war um 3 Uhr noch gar nicht im Bett. Sie hatten irgendwo Champagner aufgetan, er schlief um halb acht ein, um gleich darauf zum täglichen Spucktest geweckt zu werden. Stäbler erzählte von der Tortur des Abkochens. Davon, dass 90 Prozent eines Kampfes vor dem Kampf stattfinden. Ja, diese Gelegenheiten Stunden später, die lassen einen die Sportler noch mal ganz anders erleben.

Zugehörige Wettkämpfe

Datum Name Ort
23.07.–08.08.2021 Olympische Sommerspiele 2020 Tokio (Japan)